Dass ausgerechnet Québec sich rühmt, diese hochkalorische Cholesterin-Orgie in die Welt gebracht zu haben, ist der eigentliche Skandal. Gerade diese kanadische Provinz ist doch bekannt für ihre französischen Wurzeln in der alten Welt. Für eine Küche, die eben nicht typisch nordamerikanisch ist, sondern ihre Kalorien in einer Art und Weise auf den Tisch bringt, dass man sich denkt: Na gut, das ist es wenigstens wert. Und jetzt das!
Poutine besteht aus dicken (manchmal doppelt frittierten) Pommes, die mit Cheddar-Flocken bestreut und mit Bratensauce übergossen werden. Die Sauce macht die Fritten suppig und bringt den Käse zum Schmelzen, weshalb man Poutine nicht auf dem Weg zu einem wichtigen Termin essen sollte. Üblicherweise wird es in einer Pappschachtel serviert. Von den Einheimischen wird es daher auch zärtlich „Heartattack in a box“ (Herzinfarkt in der Schachtel) genannt.
Und trotzdem riskieren die Québecois ihren Ruf als Feinschmecker der kanadischen Ostküste, und streiten sich sogar darum, wer denn nun wo genau zum ersten Mal diesen Frontalangriff auf die Arterien zusammengerührt hat. Mehrere Ortschaften beanspruchen die Erfindung für sich, festzustehen scheint nur, dass die Geburtsstunde Ende der 1950er Jahre war. Auch um den Namen ranken sich unzählige Legenden. Recht glaubwürdig klingt diese hier: Ein Mann habe bei einem Kioskbetreiber Pommes mit frischem Käse bestellt. Dieser antwortete daraufhin: „Ça va faire une maudite poutine“, auf Deutsch: „Das wird eine Riesensauerei!“ Ein Zusammenhang mit dem ehemaligen russischen Staatsoberhaupt ist hingegen weitgehend ausgeschlossen. Inzwischen bezeichnet Poutine in Québec umgangssprachlich auch eine übergewichtige Frau. Und das ist, bei aller Liebe zu diesem Gericht, nicht liebevoll gemeint.
Jetzt, da es zu spät ist, bemüht sich die Provinz um Schadensbegrenzung. Eine richtig gute Poutine werde mit handgeschnitzten Pommes zubereitet, heißt es. Der Käse müsse so frisch sein, dass er beim Kauen quietscht, damit er dem Gericht die gewünschte Textur gibt. Und die leichte (!) Sauce müsse auf Basis eines Rinder- oder Hühnerfonds gekocht sein, ohne Zucker, Verdickungsmittel und andere Zusatzstoffe. Doch die Büchse der Pandora steht bereits sperrangelweit offen: Von der Fett-Lobby als „kleiner Snack“ empfohlen, wird diese Spezialität nun unter teilweise Poutine-unwürdigen Bedingungen in ganz Kanada zubereitet. Sogar in Fast-Food-Restaurants! Da schaudert es die stolzen Franco-Kanadier und sie seufzen: Das haben wir nicht gewollt!
Auch vor den Grenzen Kanadas macht die Epidemie nicht halt. Aufgrund eines Übersetzungsfehlers (das kanadische Französisch wird selbst von Franzosen nicht verstanden) werden in den Niederlanden Fritten mit Käse und Dönerfleisch bestreut und dann mit einer Knoblauchsauce begossen. In Schweden gibt’s das Ganze in einer Fischvariante. Nur die coolen New Yorker machen mal wieder alles richtig: Sie essen Poutine nach langen, durchfeierten Nächten. Und nennen die perfekte Kater-Medizin „Disco Fries“.
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